Es ist nichts mehr wie vorher

Der Gemeindebrief „Kark und Lüe“ vom September 2014 ist dem Schwerpunktthema „Abschied“ gewidmet. Was bedeutet es, einen geliebten Menschen zu verlieren? Regina Dettloff, Pfarrerin im Pfarramt III in Edewecht, beschreibt ihre Erfahrungen in der Trauerarbeit:

Seit 1997 mache ich Trauerarbeit. Auch meine Examensarbeit habe ich über dieses Thema geschrieben und seit 2002 hat Edewecht ein gut besuchtes Trauer-Café an jedem 1. und 3. Freitag von 16.00 — 18.00 Uhr. Ich habe viel gelernt von den Trauernden, von ihrem Mut, ihrer Lebensfreude und auch über die Trauer selbst. Einiges davon möchte ich hier weitergeben.

Die Jahre der Trauerzeit 

Dabei hat erste Trauerjahr rein gar nichts mit schwarzer Kleidung zu tun. Sondern damit, dass man in diesem Jahr alles, was man zuvor zu zweit gemacht hat, das erste Mal alleine machen und aushalten muss. Und das ist in diesem Jahr ganz schön viel! Man stolpert sozusagen schmerzhaft über all die kleinen und großen Momente, in denen man sich sonst begegnet ist. Es gilt, sie so gut es geht, zu überstehen, mehr dazu unter Rhythmen.

Im zweiten Trauerjahr hat man vieles schon einmal allein durchlebt.

Jetzt erlebt man diese Momente das zweite Mal und sie sagen einem: ‚Es wird so bleiben!’ Das ist nicht weniger schmerzhaft, aber man hat schon einige Erfahrung und es gibt auch schon einiges, was sich wieder neu und anders eingespielt hat.

Im dritten Trauerjahr kann und muss man dann auch anfangen, die Zeit, die einem nun alleine gehört, die man alleine füllen muss, für sich selbst in Besitz zu nehmen. Auch das ist nicht schmerzlos, weil man den anderen dafür auch loslassen, die Endgültigkeit annehmen muss. Treue ist hartnäckig; zum Glück, denn nur so kann vom verlorenen Menschen etwas bei einem bleiben; das ist Liebe.

Ein paar Richtigstellungen

Das heißt nicht, dass man drei Jahre lang nur traurig ist! Das geht gar nicht, das hält niemand aus. Aber man ‚rasselt’ eben immer wieder in die ehemals gemeinsamen Momente, die einen spüren lassen, wie schmerzhaft der andere gerade jetzt fehlt. – Es heißt auch nicht, dass man erst nach drei Jahren mit der Trauer ‚fertig’ ist. Das ‚fertig-werden’ geschieht, indem man lernt, die guten Zeiten und Begegnungen zu nutzen und indem man es schafft, die schweren immer wieder zu bestehen. Es heißt aber auf jeden Fall, dass ein Trauernder auf gar keinen Fall nach drei Monaten ‚damit fertig’ und alles wieder ‚normal’ ist.

Jeder sollte wissen: Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann ist beim Zurückgebliebenen nichts mehr wie vorher und wird es auch nie mehr sein! Da heilt auch die Zeit keine Wunden. Alles wird anders, neu, unbekannt, beängstigend allein… Es wird nicht unbedingt schlechter am Ende, aber da muss man erst einmal hinkommen.

Heilen tut auch weh

Vielleicht noch dieses: Diese „Begegnungen“, diese ehemals gemeinsamen Momente, die man so schmerzhaft allein aushalten muss, sie sind notwendig und heilsam. In jeder Begegnung verändert man sich ein wenig. Es ist, als bliebe vom verlorenen Menschen etwas in einem haften, als würde dieser ein Stück von einem selbst, das einem hilft zu leben, während man zugleich mit jeder Begegnung auch ein bisschen mehr loslassen kann. Der Gang zum Grab oder das Erzählen über das Erlebte mag Schmerzen bereiten, scheint aber ein heilsamer Weg zu sein.

Trösten bedeutet Mitfühlen

Und zuletzt: Jeder Trauernde weiß seinen oder ihren Weg ganz gut selbst! Ratschläge sind eigentlich nie hilfreich. Reden tut gut. Sein-dürfen tut gut. Denn gibt man dem Schmerz Raum, verwandelt er sich seltsamerweise in das, was er eigentlich ist: Verbindung und Liebe. Wer gut mit einem Trauernden reden will, der hört ihm zu; der sagt lieber nichts, wenn er nichts zu sagen hat; der drückt sein Mitgefühl aus und versucht zu verstehen, was im Trauernden vor sich geht; der stellt sich auf ein ordentliches Gefühlschaos ein und nimmt nicht alles persönlich; und der weiß: Eine kleine liebevolle Geste ist manchmal mehr als eine gesprochene Formel. Man darf auch unsicher sein, und das auch gerne sagen, aber man sollte auf jeden Fall echt sein.

Rhythmen

Immer wo Menschen mit einander leben, bilden sich feste Abläufe und Rhythmen.

Ein Beispiel: Das morgendliche Aufstehen. Wer steht als erster auf? Wer geht zuerst wohin? Wer macht das Frühstück? Wer ist Frühaufsteher? Wer darf noch liegen bleiben? Wer geht mit dem Hund? Wer wartet auf wen? Was wird gesagt, besprochen? Gibt es einen Guten-Morgen-Kuss? Man hört, wo der andere gerade ist oder weiß es aus Erfahrung. Lauter viele kleine feste Abläufe und Rhythmen.

Wenn ein Mensch stirbt, heißt das für den anderen: Niemand da beim Aufwachen. Kein Geräusch vom Nebenbett oder vom Flur. Kein Klappern von Geschirr in der Küche. Niemand, der einem im Weg steht zwischen Schlaf- und Badezimmer. Nur ein Gedeck. An jedem dieser Punkte eckt man schmerzhaft an.

Und das geht so weiter den ganzen Tag. Der Vormittag hat seinen Ablauf. Das Mittagessen, die Mittagsruhe, der Nachmittag, der Abend, das Zu-Bett-Gehen. Schon der zweite Tag ist ein kleines bisschen anders.

Und so vergeht Tag um Tag. Und auch jeder einzelne Wochentag hat so seine Gewohnheiten: Waschtag, Einkaufstag, Ärztetag, Putztag, Gartentag, Familientag. Auch hier hatte jeder so seinen Part, seine Aufgabe. Nun steht man allein davor. Und am Wochenende erwischt einen der ganze Katzenjammer dann erst einmal regelmäßig.

Dann ist der erste Monat vorbei. Und auch die Monate haben ihren Rhythmus. Die Jahreszeiten. Die Geburtstage. Die Familien- und die Nachbarschaftsfeste. Die großen Feste wie Ostern und Weihnachten. Alle sie haben ihre Rhythmen, ihre sich relativ klar wiederholenden Abläufe, ihre Aufgabenverteilung. Und immer wieder ist er da, so ein Moment, an dem man schlucken muss.

Pastorin Regina Dettloff

 

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